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    1. Deutschlands Teilnahme am 1. Olympischen Wasserball-Turnier im August 1900 in Paris

    DAS ERSTE WASSERBALL- LÄNDERSPIEL
    Von Dr. Günter Schwill
    Am 12.August 1900 fand in Paris das erste deutsche Wasserball-Länderspiel statt. Es war eine Begegnung im Rahmen der II. Olympischen Spiele.
    Bisher war die Quellenlage hierüber äußerst mangelhaft, falsche und unvollständige Angaben ziehen sich durch die Sportliteratur. Durch seine Recherchen in alten Tageszeitungen und in der Fachpresse hat der Autor Dr. Günter Schwill die überall spärlich verstreuten Fakten mosaiksteinartig zusammengetragen und damit Licht in die Anfänge des DSV gebracht.

     

    Dr. Günter Schwill
    Der Autor der Serie „Höhepunkte eines Wasserball-Jahrhunderts“

    GEORG HAX - DER GROSSE ORGANISATOR
    Ein tatkräftiger und ehrgeiziger Schwimmer-Präsident stand im Jahr 1900 an der Spitze des DSV, als aus Paris Ausschreibung und Einladung für die II. Olympischen Spiele eintrafen: Es war der 30jährige Berliner Georg Hax. Sein Ziel war es, den Deutschen Schwimm-Verband diesmal unbedingt zum Wettkampf der Weltbesten zu entsenden. Vier Jahre zuvor nämlich waren die Schwimm-Wettkämpfe in Athen ohne deutsche Beteiligung abgelaufen. 

    Auf dem Programm standen sieben Schwimm-Konkurrenzen, dazu als einzige Mannschaftsballsportart Wasserball, ein von Baron de Coubertin favorisierter Wettkampf, der auch schon für Athen vorgesehen war.

    Georg Hax war ein Glücksfall für den DSV. Er war noch aktiver Sportler (zweimal Europameister im Springen sowie ein guter Schwimmer und Wasserballspieler im Berliner Amateur SC), daneben galt er als Mann des Wortes und der Feder (Chefredakteur des "Schwimmsport") und war gleichermaßen ein angesehener Verbandsfunktionär. Die Teilnahme des DSV in Paris war für ihn beschlossene Sache, nur deren Realisierung bereitete ernste Probleme, da es am Geld fehlte.
    Es gab ein Deutsches Komitee für die Olympischen Spiele, in dem Hax engagiert für die Sache der Schwimmer kämpfte. Je näher das Ereignis heranrückte, um so geringer wurden die Aussichten, da der Generalsekretär Dr. Gebhardt die bestehenden Finanzmittel überwiegend den Turnern zuspielte. Die letztlich bewilligten Gelder für die Schwimmer betrugen bei einem auf 15 Personen zusammengestrichenen Teilnehmerkreis pro Kopf 100 Reichsmark, neben der freien Fahrt II. Klasse. Alle anderen Kosten mußten selbst aufgebracht werden.

    Der Kreis der Schwimmer hatte sich früh gebildet, wenn auch die Absage der Hamburger Asse wegen eines zeitgleichen Schwimmfestes Befremden auslöste. Aber mit Ernst Hoppenberg (Bremen), Max Hainle (Stuttgart) und Max Schöne (Berlin) standen starke Trümpfe bereit, die in Paris stechen sollten.
                                                                                             L’ÉQUIPE IMPÉRIALE ALLEMANDE - DIE ERSTE NATIONALMANNSCHAFT

    Im Wasserball wurde lange um die richtige Mannschaft gerungen. Diese Sportart, seit 1895 in Deutschland betrieben, war schnell beliebt geworden, besonders in Berlin und Hamburg, doch auch anderen Orts galt Wasserball als Bereicherung und Abschluß vieler Schwimmfeste. Deshalb große Enttäuschung bei Hax, als sich auf seine Ausschreibung hin nur der Berliner Schwimm-Club "Otter" für Paris meldete. Die Otter-Mannschaft galt zwar als eine überdurchschnittlich gute Mannschaft, doch wußte Hax, daß sie in Paris nicht viel ausrichten würde. 

    Ganz beiläufig ließ er Erkundigungen einholen, ob nicht auch Auswahlmannschaften gemeldet werden dürften. "Nationalmannschaften" gab es zu jener Zeit überhaupt noch nicht, auch keine Trainer oder Vorbereitungslehrgänge. Bei internationalen Veranstaltungen gingen deshalb stets Vereinsmannschaften, aufeinander eingespielte Teams, an den Start. Hax hatte die richtige Idee, als er zur Verstärkung der vorgesehenen Mannschaft einen oder zwei gute Schwimmer einbauen wollte. Er ist somit als der Begründer der deutschen Wasserball-Nationalmannschaft anzusehen.

    Georg Hax
    DSV-Präsident und Begründer der ersten deutschen Wasserball-Nationalmannschaft

    Dann, am 7.Juli, gut einen Monat vor dem großen Ereignis in Paris, kam es in Berlin zum Eklat. Die Teilnahme im Wasserball in Paris schien plötzlich gefährdet. 
    In einem Wasserballkampf beim "Internationalen" des Wettschwimm-Cartells im Kochsee in Berlin standen sich Poseidon und Otter gegenüber. Die Leitung hatte der Vorsitzende des Berliner Schwimmer-Bundes, Georg Cosmann, übernommen. Unbeherrscht, mit beleidigenden und höhnischen Zurufen gegen den Schiedsrichter kommentierten die Otter-Spieler die Entscheidungen des Unparteiischen, ihnen allen voran ihr Mannschaftsführer Otto Szczepurek. Als die Otter-Mannschaft bei einer 3:2 Führung für Poseidon das Spiel auch noch abbrach, mußte die Verbandsführung dieses unsportliche Verhalten ahnden. Mit dieser Mannschaft als Vertretung Deutschlands wollten sie nicht zu den Olympischen Wettkämpfen nach Paris reisen. Der SC Otter hatte seine Olympia-Teilnahme verwirkt!

    In kürzester Zeit zauberte Georg Hax ein Ersatzteam zusammen. Dabei formierte er die erste deutsche Nationalmannschaft:
    Er berief den Stuttgarter Max Hainle und den Bremer Ernst Hoppenberg, die als Schwimmer sowieso für Paris nominiert waren. Dazu kamen Fritz Scheider (Poseidon Berlin), Paul Gebauer (Berliner SV v. 1878), Max Schöne (Berliner Schwimm-Club "Forelle"), Hans Aniol und Georg Hax ( beide Amateur SC Berlin). Unter der Bezeichnung L’équipe impériale allemande", deutsche Reichsauswahl, ging diese Mannschaft mit Georg Hax als Mannschaftskapitän und Torwart in Paris an den Start.


    IN EINER FLUSSBADEANSTALT IN DER SEINE
    Als Wettkampfstätte für Schwimmen und Wasserball diente die Flußbadeanstalt von Asnière in der Seine, die nur leichte Strömung aufwies. Start- und Zielmarken im Abstand von 200 Metern bestanden aus fest verankerten, querliegenden Zillen. Diese flachen Frachtkähne waren als Rampen gut geeignet, zusätzlich waren sie zum Sonnen- oder Regenschutz mit einer Plane überdacht. Große Tribünen am Ufer an der Straßenseite konnten bis zu 6000 Zuschauer aufnehmen.

    Die deutsche Mannschaft hatte sich auf fünf Schwimmkonkurrenzen und das Wasserball-Turnier konzentriert. Dazu zählten 1000 m und 200 m Freistil, das Mannschaftsschwimmen über 5x200 m, das Rückenschwimmen über 200 m und das Tauchen.
    Schwimm-Vorläufe mußten am Sonnabend, die Entscheidungen am Sonntag, dem 12. August, ausgetragen werden.


    Im Wasserball hatten acht Mannschaften gemeldet: 4 aus Frankreich, 2 aus England und je ein Team aus Belgien und Deutschland. Das ergab folgenden Spielplan:

    I. Vorläufe (Viertelfinale):
    1. Libellule, Paris                      - Osborne SC Manchester, II.                     kampflos für Paris 
    2. Triton, Lille                           - Osborne SC Manchester, I.                     0:12
    3. Pupilles de Neptune, Lille, II - Deutschland (Équipe impériale allemande) 3:2 (3:0)
    4. Bruxelles S. et W.P.C.         - Pupilles de Neptune, Lille, I.                      2:0

    Im ersten Wasserballspiel trat die 2.Mannschaft von Osborne nicht an, so daß die "Libellen" aus Paris kampflos eine Runde weiter kamen.
    Im zweiten Spiel demonstrierte der Schwimm-Club Osborne aus Manchester seine große Klasse und besiegte Triton Lille mit 12:0 Toren. Genau die Hälfte aller Tore erzielte der aus Leicester stammende und zur Verstärkung eingesetzte erfolgreiche Langstreckenschwimmer John Arthur Jarvis, der spätere Sieger über 1000 und 4000 m Freistil.
    Im Spiel Deutschland gegen Pupilles de Neptune aus Lille erwiesen sich die Franzosen bereits als fortgeschrittene "Schüler des Meeresgottes". Schon bei Halbzeit lagen sie kaum aufholbar 3:0 vorn. Die deutsche Mannschaft tat sich schwer, da sie hier erstmals mit den internationalen Regeln zurechtkommen mußte. Das beliebte "Ball auf der Hand" wurde durch Körperattacken der Franzosen empfindlich gestört. Eine taktische Umstellung in der Pause brachte den schwimmerisch viel besseren Deutschen in der zweiten Hälfte zwei Anschlußtreffer, während die Franzosen leer ausgingen. Umzudrehen aber war das Spiel nicht mehr, mit 3:2 siegte Lille.

    Die Mannschaften: 
    Deutschland: Gebauer, Hax, Aniol, Scheider, Hainle, Hoppenberg und Schöne.
    Neptune Lille: Coulon, Fardelle, Favier, Leriche, Martin, Treffel, Merchez.

    Bester Spieler der Franzosen war Louis Martin, der bei diesen Spielen drei bronzene Medaillen errang: Über 4000 m Freistil, im 5x200 m Mannschaftsschwimmen und im Wasserball. Der knappe Sieg über Deutschland ließ die Franzosen ins Halbfinale einziehen und sicherte ihnen damit schon die Bronzemedaille.

    Noch 25 Jahre später trauerte Georg Hax der vergebenen Chance im Wasserball nach. Bei einer Festrede führte er aus: "Die deutsche Mannschaft hatte einen schweren Stand, weil ihr die unglückseligen deutschen Regeln zu sehr in den Gliedern lagen. Und trotzdem: hätten wir Gelegenheit gehabt, in einem der Vorläufe (Vorkämpfe) eine erstklassige Mannschaft vor uns spielen zu sehen, bei der Qualität unserer Schwimmer, die die französische Fachpresse als „les splendides gaillards“ (die glänzenden Gestalten) bezeichnete, hätten wir sicher ein anderes Resultat erreicht. Denn nachdem wir bei Halbzeit gegen Pupilles de Neptune, Lille, 0:3 standen, stellten wir um und erzielten dadurch zwei Tore, so daß wir mit 2:3 ehrenvoll unterlagen." 
    Quelle:Deutscher Schwimmsport, Nr.31/1925.


    ZWEIMAL GOLD FÜR DIE DEUTSCHE ÉQUIPE
    Die bei den Schwimm-Wettkämpfen erzielten Ergebnisse der Wasserballspieler bestätigten das Urteil der französischen Fachpresse:
    Ernst Hoppenberg errang zwei Goldmedaillen über 200 m Rücken und in der Staffel.
    Max Hainle und Max Schöne waren beim Gewinn der 5x200 m Gold-Staffel beteiligt, darüber hinaus wurde Hainle noch Vierter über 1000 m Freistil. Hans Aniol belegte im Tauch-Wettbewerb den 6.Platz.

    Die Wasserball-Entscheidungen liefen ohne die deutsche Mannschaft ab, die durch ihre Niederlage ausgeschieden war.

    II. Die Zwischenläufe (Halbfinale im Wasserball):

    Libellule, Paris - Osborne SC, Manchester 1:10
    Pupilles de Neptune, Lille - Bruxelles S.et W.P.C. 1:4

    Manchester Osborne Swimming Club – erster
    Wasserball-Olympiasieger

    III. Das Endspiel:

    Osborne Swimming Club Manchester - Bruxelles S.et W.P.C 7:2

    Die Siegermannschaft: Arthur Robertson, Thomas Coe, Eric Robinson, Peter Kemp, George Wilkinson, John H. Derbyshire, William Lister.

    Der Torjäger George Wilkinson muß zu den ganz großen Gestalten des internationalen Wasserballs gerechnet werden. Er wurde dreimal mit der englischen Mannschaft Goldmedaillengewinner (1900, 1908 und 1912). Seine Ausbeute hätte noch größer sein können, wenn England 1904 eine Mannschaft nach St. Louis (USA) geschickt hätte, da es zu jener Zeit den internationalen Wasserball 
    beherrschte. 1916 fielen die Spiele wegen des I.Weltkrieges aus. 1920 und 1924 gehörte Wilkinson immer noch zum britischen Team, das aber seine Vorherrschaft eingebüßt hatte und ohne Medaille blieb. Wilkinson war bei seinen fünften Spielen 1924 in Paris bereits 45 Jahre alt. Er ist m.W. der einzige Olympionike, der zweimal in derselben Stadt (in Paris) an Olympischen Spielen teilnahm.

    NACHLESE VON GEORG HAX
    Noch einmal Hax mit einer kritischen Betrachtung der Wasserballspiele in Paris:
    "Das Wasserballspiel wurde vom Osborne Swimming-Club in ganz hervorragender Weise gewonnen. Die deutsche Mannschaft hatte einen sehr schweren Stand, weil ihr die deutschen Regeln (nach Baer, d.V.) zu sehr in den Gliedern lagen. Die unnütze Verteidigung der Mals (des Torraums, d.V.) durch drei Schwimmer und das Herausheben des Balls aus dem Wasser rächte sich bitter, indem die Gegenmannschaft jeden Ball, der hochgehoben war, aus der Hand schlug. Engländer, Belgier und Franzosen spielen in ganz gleicher Weise:
    Sechs Mann im Spiel, die auch abwechselnd stürmen; bei jedem Mann der Gegenpartei ein Mann der eigenen, gewissermaßen wie eine Klette an ihm sitzend. Es fiel keinem ein, mit dem Ball in der gehobenen Hand zu schwimmen, er wäre ihm sicherlich fortgeschlagen worden; sie trieben vielmehr den Ball mit spanischem Tempo vor sich her und gaben ihn sofort rückwärts oder seitwärts weiter, wenn der Gegner nur in bedenkliche Nähe rückte.
    Das Spiel nach den englischen Regeln hat uns ausnehmend gut gefallen: es ist rasch, elegant und interessant! Die Berliner Herren, welche der Mannschaft angehörten, werden dasselbe in der gelernten Weise weiter pflegen und zu geeigneter Zeit den Kameraden vorführen. Vielleicht kommt ein Match anläßlich des Verbandstages in Magdeburg mit den Hamburgern zustande, die ja schon lange nach den englischen Regeln spielen." Quelle: Schwimmsport, Nr.17/1900.

    In der Tat lernten die Berliner schnell ihre Lektion. Am 3.7.1901 fand in Berlin das erste Spiel nach englischen Regeln statt: Der Amateur SC besiegte dabei den Reinickendorfer SC von 1900 mit 2:1. Der erhoffte Kräftevergleich mit Hamburg fand aber nicht statt, da die Hanseaten nicht einwilligten.

    IMPULSE DURCH PARIS:
    Olympiasieger Max Hainle wechselte 1901 von Stuttgart nach Berlin und holte in der Folgezeit für den SC Poseidon wertvolle Siege. Fritz Scheider wechselte zum Hax-Club Amateur SC.
    Ernst Hoppenberg, der Doppel-Olympiasieger, trug die Wasserball-Idee am weitesten in die Welt hinaus: In der deutschen Kolonie in Tsingtau in Ostchina veranstaltete er mehrere Jahre hindurch Schwimmfeste und Wasserball-Turniere. Der vor Ort von ihm aufgebaute Tsingtauer SV verlor 1912 nur knapp mit 1:2 die Meisterschaft gegen eine Marinemannschaft des S.M.S.Gneisenau.
    Für Georg Hax erfüllte sich mittelbar doch noch der olympische Medaillentraum, nämlich durch seinen Sohn Heinrich. Der im Olympiajahr 1900 geborene Heinrich Hax betrieb über den Schwimmsport hinaus den Modernen Fünfkampf. Als Reichswehr-Offizier nahm er 1928 in Amsterdam an dieser Vielseitigkeitsprüfung teil, konzentrierte sich 1932 in Los Angeles und 1936 in Berlin auf die Schießwettbewerbe und errang dort jeweils die Silbermedaille mit der Schnellfeuerpistole.

    Die Impulse, die Paris den Beteiligten vermittelte, wirkten lange nach und sicherten Deutschland einen führenden Rang im internationalen Schwimmsport. Im Wasserball dominierte fortan Berlin und hielt diese Stellung durch Germania Berlin bis zum Ausbruch des I.Weltkrieges.


    © Dr. Günter Schwill
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